„Wenn beispielsweise ein Ärzte-Ehepaar, bei dem beide in der Herzchirurgie im Herzzentrum des Klinikums Links der Weser operieren, zuhause bleiben müssen, weil die Kinder krank sind, dann entfallen wichtige OPs. Das ist für die betreffenden Patienten natürlich keine gute Nachricht.“
Präziser kann man es kaum auf den Punkt bringen, was Monika Pahls Arbeitgeberin, die Gesundheit Nord gGmbH mit rund 8.000 Mitarbeitenden, dazu veranlasst hat, das Thema Kindernotbetreuung in die Hand zu nehmen. Als diplomierte Pflegewirtin und eine der Frauenbeauftragten des Verbunds von vier Bremer Kliniken machte Monika Pahl Ende 2020 die Kindernotbetreuung kurzerhand zu „ihrem“ Projekt. Die Geschäftsführung der Gesundheit Nord beauftragte sie mit dieser Aufgabe. Monika Pahl berechnete die Kosten, wenn Eltern in der Klinik aufgrund von Betreuungsproblemen ausfallen, organisierte Unterstützer, verglich Anbieter und Angebote.
Schon währen der ersten Pandemiewelle im Frühjahr 2020 startete die Gesundheit Nord die Zusammenarbeit mit den Notfallmamas, die in Hamburg gegründet wurden und mittlerweile an sieben Standorten bundesweit aktiv sind, darunter auch in Bremen. „Wir haben schnell gemerkt, dass die Nachfrage nach Kinderbetreuung zuhause groß ist und wir dieses Angebot daher fest etablieren müssen. Gleichzeitig haben wir aber auch einen anderen Anbieter mit einer Backup-Kita geprüft“, so Pahl. „Für beide Angebote haben wir nun laufende Verträge“.
Bekanntgemacht wurden die neuen Möglichkeiten für Eltern im Intranet und über Newsletter. Alle Beschäftigten können die Notfallbetreuung seitdem zwei Tage pro Monat unbürokratisch in Anspruch nehmen. Eine Freigabe durch die Führungskraft nicht erforderlich. „Um sagen zu können, ob sich Bewerber*innen speziell aufgrund dieses Angebots für eine Beschäftigung bei der Gesundheit Nord entschieden haben oder deswegen bei uns bleiben, ist es noch zu früh“, räumt die Projektleiterin ein. „Aber wir kommunizieren die Kindernotbetreuung ganz bewusst in unseren Stellenanzeigen und werden das Projekt evaluieren.“
In der ersten Pandemiewelle standen die Ärzte plötzlich ohne Kinderbetreuung da
Eine, deren Urteil schon jetzt zu 100 zu Prozent positiv ausfällt, ist Samira Otto. Sie ist der weibliche Part des eingangs erwähnten Herzchirurgen-Paares. Die beiden haben drei Kinder, sechs, fünf und knapp drei Jahre alt. Untergebracht waren diese mit flexiblen Betreuungszeiten bei einer Tagesmutter. Doch in der COVID 19-Pandemie brach das sorgsam aufgebaute Betreuungskartenhaus in sich zusammen. Zunächst behalfen sich die Mediziner mit Samira Ottos Mutter, die aber eine weite Anfahrt hatte, dann mit einer Leih-Oma, die aber deutlich weniger als erforderlich arbeiten wollte. Richtig gut lief es also nicht. „Genau in dieser Situation kam das Schreiben der Klinikleitung, dass sie jetzt mit den Notfallmamas zusammenarbeiten“, erinnert sich Otto. „Ich habe gejubelt!“
Seitdem springen die Betreuerinnen der Notfallmamas immer dann ein, wenn sich bei der Familie eine Lücke auftut. „Die Notfallmamas sind meine Rettung in der Not, denn ich bin mit Leib und Seele Mama, aber mindestens genauso leidenschaftlich Herzchirurgin“, sagt die Ärztin. Sie schätzt die zuverlässige Organisation durch den Anbieter, die von großem Vertrauen getragene Zusammenarbeit und die liebevolle Hingabe der beiden Bremer Notfall-Mamas. So sei im Vorfeld des ersten Einsatzes nach den Vorlieben und Wünschen der Kinder in Bezug auf Spiele und Beschäftigung gefragt worden. Ihre drei Kleinen – inzwischen sind sie in der Schule oder Kita – hätten die gemeinsame Zeit stets sehr genossen, sei es bei der Betreuung zuhause oder im Spielzimmer in der Klinik. Alle Notfallmamas und -papas sind entweder medizinisch oder pädagogisch ausgebildet oder haben langjährige Erfahrung in der Kinderbetreuung. Sie müssen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, einen Erste Hilfe-Kurs am Kind sowie ein Gesundheitszeugnis
Kinderbetreuung in Zeiten, in denen es sonst kaum welche gibt
Auch in der Bremischen Bürgerschaft, dem Landtag der Freien und Hansestadt Bremen, werden die Kinder der Abgeordneten, Fraktionsmitarbeitenden und anderen Mitarbeitenden des Hauses in einem speziell eingerichteten Spielzimmer oder in einem Eltern-Kind-Büro betreut – immer dann, wenn Eltern aufgrund von Veranstaltungen, Ausschuss- oder Abendsitzungen eine Betreuungslücke zu überbrücken haben. Initiiert hatte das Projekt ursprünglich der Bürgerschaftspräsident. Der Bürgerschaftsvorstand beauftragte ihn schließlich, das Thema weiterzuverfolgen, um die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Mandat in Bremen zu verbessern, so Landtagssprecherin Rebekka Stuhrmann. „Wir haben dann nach Angeboten für Notfallbetreuung speziell in solchen Zeitfenstern gesucht, in denen es sonst kaum etwas gibt. Außerdem war uns wichtig, dass die Betreuung kurzfristig verfügbar ist und stundengenau abgerechnet werden kann. Für die Notfallmamas war beides kein Problem“, so Stuhrmann weiter.
Für rund 25 Kinder haben Eltern grundsätzlichen Betreuungsbedarf Bedarf angemeldet. Neben flexiblen Arbeitszeiten und der Möglichkeit, von zuhause aus zu arbeiten, ist die Notfallbetreuung ein weiteres Angebot, das Beschäftigten des Landtags die Vereinbarkeit erleichtern soll, wie Stuhrmann erläutert. „Wir möchten die Zufriedenheit unserer Mitarbeitenden erhöhen und ein attraktiver Arbeitgeber sein. Vor allem aber haben wir als Behörde aus unserer Sicht eine Vorbildfunktion.“
Eltern sollen sich nicht zwischen Familie und Beruf entscheiden müssen
„Ich höre oft, dass Mitarbeiter*innen Termine verpassen und unter Druck geraten, wenn es bei der Betreuung ihrer Kinder Probleme gibt“, berichtet Samira Abdel Wahed. Deswegen war die Koordinatorin familiengerechte Hochschule (die Uni Bremen ist seit 2007 durch berufundfamilie zertifiziert) schon länger auf der Suche nach einer Notfallbetreuung für Kinder ihrer rund 3.500 Mitarbeitenden, darunter 280 Professor*innen – zumal diese oft aus aller Welt kommen und kein familiäres Netzwerk haben, auf das sie im Fall der Fälle zurückgreifen können.
So ist es auch bei Alice Lefebvre. Die promovierte Französin ist am MARUM tätig, dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, ihr niederländischer Lebenspartner Hans bei einem Bremer Unternehmen. Ihre gemeinsamen Kinder Leon, Leila und Mael besuchten eine der Campus-Kitas. Als Tochter Leila einmal eine Woche lang krank war, blieben Alice und Hans jeweils für zwei Tage zu Hause. Alice befürchtete schon, sie müsste einen wichtigen Termin bei der Arbeit absagen. Doch dann erzählte ihr ein Kollege von einem neuen Angebot der Universität, der professionellen Notfallbetreuung. „Ich habe mich per Mail in der Uni angemeldet und schnell eine Antwort bekommen“, so die Wissenschaftlerin. „Am nächsten Tag stand die Notfallmama vor der Tür und ich konnte beruhigt meinen beruflichen Termin wahrnehmen.“
Auf einer Veranstaltung wurden die Mitarbeitenden Anfang 2019 über das neue Angebot der „Notfallmamas“ informiert, außerdem steht es im Mitarbeiter*innen Portal und wird regelmäßig an alle Beschäftigten per Info-Mails versendet. „Manchmal gibt es eine gewisse Skepsis, ein krankes Kind zuhause betreuen zu lassen“, sagt Abdel Wahed. Aber alle, die es bislang getan hätten, seien sehr zufrieden gewesen. „Es gibt Eltern ein gutes Gefühl, auf so ein hochwertiges Angebot zurückgreifen zu können.“ Dabei ist es ihr ebenso wichtig zu betonen, dass die Möglichkeit einer Notfallbetreuung kein Druckmittel für Vorgesetzte sein dürfe, von den Beschäftigten trotz eines kranken Kindes Präsenz am Arbeitsplatz einzufordern.
„Wir haben bei den Notfallmamas 80 Stunden im Jahr als Dauertarif gebucht“, sagt die Vereinbarkeitsmanagerin. Die Notfallmamas sichern zu, in rund 95 Prozent der Anfragen für den Folgetag eine Betreuung schicken zu können. „Nach unserer Erfahrung gehen alle Eltern sehr sorgsam mit dem Angebot um.“ Sie ist überzeugt von dem Modell und hofft, dass es möglichst gut genutzt wird. Alice Lefebvre jedenfalls kann den Service nur empfehlen: „Eine super Sache. Mir haben die ‚Notfallmamas‘ sehr geholfen, Arbeit und Familie miteinander zu kombinieren.“
Stolpersteine
Ein nicht zu unterschätzender Fallstrick ist, wie in so vielen Projekten, das Thema Kommunikation. Aus Erfahrung wissen wir, wie wichtig es ist, das Angebot einer Kindernotbetreuung umfassend und regelmäßig bekannt zu machen. In der Regel geschieht dies im Rahmen einer Präsentation mit einer Notfallmama oder einem Notfallpapa. Eltern erhalten die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Flankiert werden sollte eine solche Kickoff-Veranstaltung mit Informationsmaterial und regelmäßig erneuter Kommunikation. Dafür stellen die Notfallmamas Materialien zur Verfügung. Wird das nicht kontinuierlich beworben, gerät es schnell in Vergessenheit und wird nicht so genutzt, wie der Arbeitgeber dies erwartet und wie Eltern es eigentlich benötigt hätten.
Unterm Strich - was hat das Projekt gebracht?
Die Rückmeldungen der drei Einrichtungen in Bremen, die den Service der Notfallmamas nutzen, sind durchweg positiv – sowohl vonseiten der Auftraggeber als auch von den beteiligten Eltern und Kindern. Der quantitative Nutzen lässt sich dabei schwer erheben. Einen wichtigen qualitativen Nutzen gibt es aber in punkto Vereinbarkeit, weil die Notfallbetreuung Familien alltagsnah entlastet – mit einer Maßnahme, die von den Mitarbeitenden in Umfragen vielfach nachgefragt wurde. Daher ist davon auszugehen, dass ihre Zufriedenheit steigt. Pluspunkt für die Arbeitgeber: Kindernotfallbetreuung dient auch der Sicherstellung betrieblicher Prozesse (z.B. des OP-Betriebs) und fördert die Rückkehr von Müttern und ausländischen Wissenschaftler*innen in den universitären Betrieb. Im Bremischen Landtag unterstützt die Betreuungsoption in Randzeiten die Vereinbarkeit von Familie und Mandat. Nicht zuletzt ist Kindernotbetreuung ein wichtiger Baustein beim Employer Branding von Unternehmen und Institutionen aller Art.